Der Muttertag – das soll der eine Tag im Jahr sein, an dem Mütter* sichtbar werden und ihnen für ihre Mutter*liebe und ihre Hingabe in der Sorge- und Reproduktionsarbeit gedankt wird. Am Muttertag geht es also – zumindest vordergründig – um Wertschätzung und Anerkennung. Aber: Welche Lebenswelten und Erfahrungen von Müttern* werden an diesem Tag eigentlich gesellschaftlich sichtbar und welche werden dagegen unsichtbar gemacht? Welche Mütter* meint der Muttertag eigentlich? Und wofür sollen Dankbarkeit und Anerkennung ausgedrückt werden?
Die Mütter* in den Muttertagswerbeprospekten sehen aus wie glückliche weiße, mittelalte, vermutlich heterosexuelle und nicht-behinderte Frauen. Sie lassen sich lächelnd mit Blumen und Schokolade von ihren Kindern und Männern beschenken und sind von rosa Herzchen umgeben. Dabei sehen sie kein bisschen erschöpft aus und haben wahlweise eine Schürze um oder sich „schick“ gemacht. Das Beste am Muttertag scheint zu sein, dass künftig alles noch leichter von der Hand geht, weil es an diesem Tag Sonderangebote für Bügeleisen und Staubsauger gibt. Mit dieser Darstellung von Müttern* als stets fröhliche und selbstverständlich selbstlos zur Aufopferung bereite Heldinnen des Haushalts lacht uns gerade zum Muttertag eine sehr spezielle Inszenierung von Mutterschaft* entgegen.
Eine verklärende Darstellung von Müttern* steht dabei besonders in Deutschland in einer mehr als problematischen Tradition. Nicht ohne Grund hatte der Muttertag und der Kult um die deutsche Mutter etwa im Nationalsozialismus eine herausragende Bedeutung für dessen rassistische Ideologie und Politik. Schon seit dem Ende der 1980er Jahre gibt es dazu viel nachzulesen, zum Beispiel im Buch „Muttertag und Mutterkreuz. Der Kult um die ‚deutsche Mutter‘ im Nationalsozialismus“. Und auch wenn diese Geschichte zunehmend in Vergessenheit gerät:
Der Muttertag stärkt natürlich auch heute noch bestimmte gesellschaftliche Vorstellungen von „richtigen“ und „guten“ Lebensformen mit Kindern. Und grenzt damit andere aus:
Familien, die nicht klassisch aus Vater-Mutter-Kind bestehen, also keine hetero Kleinfamilie sind, Familien die „zu viele“ oder „zu wenig“ Kinder haben, Familien, die arm sind und Familien, deren Kultur abgewertet wird oder die rassistisch diskriminiert werden. Gründe, um Mütter* und ihre Familien auszuschließen, unter Druck zu setzen und schlecht zu machen, gibt es in dieser Gesellschaft viele.
Andererseits werden am Muttertag all die Tätigkeiten von Müttern* wie Kümmern, An-Dinge-denken, Organisieren, Putzen, Kochen, Aufräumen, Zuhören, Rat geben, Trösten und Begleiten vor allem als Ausdruck von quasi ‚natürlicher‘ (Mutter*-)Liebe dargestellt und nicht als harte Arbeit. Die Sorgearbeit von Müttern* ist aber nicht immer erfüllend, sondern häufig anstrengend und erschöpfend und dabei auch noch komplett unbezahlt und eben im Privaten verborgen. Der Muttertag gibt so nicht nur ein bestimmtes Bild von Müttern* wieder, sondern wirkt als Pflaster, das die alltägliche Realität der Unsichtbarkeit und Geringschätzung von Care- und Pflegearbeit überdeckt. Mütter* werden durch Werbung, Medien und kitschige Rituale am Muttertag daran erinnert, wo ihr ‚richtiger‘ Platz ist und aufgefordert, dass sie es gut finden sollen, den größten Teil der unbezahlten Fürsorgearbeit zu leisten. Das ist der Boden, auf dem unsere patriarchale, kapitalistische Gesellschaft steht.
Die alltägliche Last und die strukturelle Benachteiligung, die Angst vor (Alters-)Armut und Jobverlust, finanzielle Abhängigkeiten, das ständige Beurteilt- und Beobachtet-Werden, viele schwierige Situationen von ganz unterschiedlichen Müttern* – kurz: das Politische und das Feministische – werden am Muttertag gezielt ignoriert und damit unsichtbar gemacht.
Während der Corona-Pandemie kamen zu diesem alltäglichen Wahnsinn noch viele weitere Belastungen hinzu, die wieder vor allem Mütter auffangen mussten. Dazu gehören unter anderem Homeschooling und Kitaschließung, zum Teil neben eigener Erwerbstätigkeit, aber auch höhere Ausgaben (z.B. für digitale Technik, Mittagessen, Masken, Schnelltests) bei weniger Einnahmen (Kurzarbeit, Jobverlust, Lohnausfälle durch Kinderbetreuung & Quarantänen). Unterstützungen von Familie und Freund*innen sind weggefallen, dabei hat die psychische Belastung durch die Sorge um deren Gesundheit und Wohlbefinden zugenommen ebenso wie die Sorge um und für Kinder und Partner*innen oder die Versorgung von Angehörigen, die zur Risikogruppe gehören. Es gibt kaum noch Beratungsangebote, nur sehr begrenzten Zugang zu kostenlosen und familienfreundlichen Räumen, stattdessen Angst und Sorge vor finanziellen Konsequenzen der Krise, vor Krankheit und Tod, Isolation (und Individualisierung) und die Zunahme von häuslicher Gewalt. Auch in der Pandemie wird die unsichtbare Care-Arbeit von Müttern* als selbstverständlich angesehen – aber nicht als systemrelevant – während die Arbeit in der Wirtschaft weiterläuft und als wichtig verstanden wird. Fehlende Entlastungsmöglichkeiten und die Folgen für Mütter* werden nicht durch die einmaligen Bonuszahlungen kompensiert und erst recht nicht durch Rosen.
Wo wird all das am Muttertag nach einem Jahr Pandemie thematisiert?
Das Überspielen der gesellschaftlichen Ignoranz gegenüber den tatsächlichen Lebensverhältnissen von Müttern durch kurzlebige, konsumorientierte Alibi-Dankbarkeit am Muttertag erscheint uns als AK Feminismus und Mutterschaft in diesem Jahr mehr als je zuvor als blanker Hohn. Wirkliche Dankbarkeit, Anerkennung und Wertschätzung würden für uns bedeuten, strukturelle Benachteiligungen und Ungleichheiten zu bekämpfen, Mehrbelastungen zu reduzieren, die Lebenswirklichkeiten von ganz unterschiedlichen Müttern* zu thematisieren und sich mit ihnen feministisch zu solidarisieren.
Solidarität #stattRosen!